Auszug aus einem Vortragsmanuskript in der Universität Kassel, Kunstgeschichtliches Seminar, Juli 2006
Auszug aus einem Vortragsmanuskript in der Universität Kassel, Kunstgeschichtliches Seminar, Juli 2006
Bronze – zum Leben erweckt
Die aufregende Entstehung der Perseus-und-Medusa-Gruppe
von Benvenuto Cellini
Inhalt
1. Großbronzen zur Zeit Cellinis in Florenz und Padua
2. Die Entstehung der Perseus-und-Medusa-Gruppe
2.1 Der Auftrag
2.2 Bronze als künstlerisches Material
2.3 Der handwerklich-künstlerische Anspruch Cellinis
2.4 Der Guss des Perseus
3. „Der Fuß des Perseus und der hinkende Hephaistos“
1. Große Bronzefiguren zur Zeit Cellinis
Um sich in das künstlerische Umfeld zur Zeit Cellinis hineindenken und beeinflussende Faktoren und Werke mit einbeziehen zu können, weise ich zu Beginn meiner Ausführungen auf einige wichtige, große Bronzeskulpturen hin, die Mitte des 16. Jh. schon die Kunstwelt bereicherten.
(Dalucas, in Krahn S. 72)
Eine andere Florentiner Arbeit Ghibertis ist z. B. die Paradiestür (1425-1452) am Baptisterium in Florenz, in die er sein Selbstportrait eingearbeitet hat. Aus dem fast 50 Jahre währenden Wirken Ghibertis an den Bronzetüren des Baptisteriums ging eine ganze Generation fähiger Bronzegießer hervor.
Mitarbeiter von Ghiberti war einige Jahre Donatello, mit vollem Namen Donato di Niccolò di Betto Bardi. Hier sein berühmter David, der 1444-1446 entstand, und heute im Bargello in Florenz präsentiert ist.
Ein weiterer Meilenstein des Bronzegusses ist das Reiterstandbild des Condottiere das Narni, genannt Gattamelata, von 1447, Höhe 340 cm in Padua, Piazza del Santo. Donatello trat spätestens mit diesem kolossalen Reiterstandbild, dem ersten nach der Antike, in Wettbewerb mit Ghiberti, seinen einstigen Meister.
Wir dürfen davon ausgehen, dass Cellini den Gattamelata kannte.
Während Donatello seine Arbeiten lediglich entwarf und modellierte, goss Andrea del Verrocchio seine Bronzen selbst. 35 Jahre später, 1483 schuf er (*Florenz 1435, +Venedig 1488) die „Die Segnung des ungläubigen Thomas“, Florenz, Orsanmichele.
Diese Figurengruppe wurde auf der Rückseite nicht durchgearbeitet, also konzeptionell bereits als reine Nischenfiguren geplant.
Zur Zeit der Vorbereitungen für den Guss des Perseus gab es in Florenz keine Werkstatt mehr für den künstlerischen Bronzeguss. Die Handwerker aus Zeiten Ghibertis und Donatellos sowie ihre Nachkommen hatten ihr Wirken nach Venedig oder in andere Städte verlagert. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts wurde in Florenz vornehmlich in Marmor gearbeitet, was für Cellini einerseits ein Problem, andererseits eine Chance darstellte.
Hier die beiden Marmorskulpturen, die Cellinis Arbeit stark beeinflussten.
1501-04 entstand der David Michelangelos (Original heute in der Galleria dell‘ Academia, Florenz, eine Kopie ist auf der Piazza della Signoria plaziert. )
Bandinelli beendigte die Arbeit an seinem Herkules und Cacus 1534. Die Figurengruppe steht ebenfalls auf der Piazza della Signoria.
So, wie Cellini den David von Michelangelo verehrte, so verabscheute er sowohl die Arbeit Bandinellis als auch den Künstler selbst.
2. Die Entstehung der Perseus-und-Medusa-Gruppe
2.1 Der Auftrag
Cellini war im August 1545 aus Frankreich nach Florenz zurückgekehrt, suchte Herzog Cosimo I. auf und beklagte sich bitterlich über die ungerechte Behandlung, die ihm durch Franz I. widerfahren sei. Er berichtete jedoch auch von seinen Arbeiten und Verpflichtungen für den französischen König. “Als ich geschlossen hatte, sagte er (Cosimo): ‘Wenn du etwas für mich ausführen willst, werde ich dir soviel Wohlwollen zeigen, das du darüber staunen wirst, vorausgesetzt, deine Werke gefallen mir, woran ich jedoch nicht im Geringsten zweifle.“ (Cellini, S. 533) Und dann - den Quellen nach - Cellini zu sich selbst: „Ich armer Unglückseliger! Mich verlangte danach, in dieser wunderbaren Schule zu zeigen (Anm. MK: damit meint er die Florentiner Bildhauer um Michelangelo) dass ich mich, seit ich ihr fern geblieben war, in einer anderen Kunst abgemüht hatte, als es sich diese Schule vorstellte; und so antwortete ich dem Herzog, ich wolle gern eine hohe Statue aus Marmor oder Bronze für seinen großen Platz anfertigen. Darauf antwortete er, er wolle als erstes Werk einen Perseus haben, den er sich seit geraumer Zeit wünsche. Dann bat er mich, ihm ein kleines Modell davon zu machen.“ (Cellini, S. 533)
Bis hierher steht eigentlich das Material noch gar nicht fest, jedoch scheint der Herzog auch den Wunsch nach Bronze geäußert zu haben, denn eine mögliche Ausführung in Marmor wird an keiner Stelle erwähnt.
Cellini formte binnen weniger Wochen ein ellenhohes Wachsmodell, das dem Herzog außerordentlich gefiel.
Weiterhin entstand eine Bronzestatuette des Perseus, von der jedoch weder die genaue Datierung, noch der Zweck exakt bestimmbar sind. Cellini erwähnt die Statuette in seiner Vita nicht, Poeschke mutmaßt, dass es sich um einen Probeguss handelte oder auch um ein Geschenk an die Herzogin Eleonora, als Ersatz für die Bronzestatuetten am Perseussockel, die sie, wie Cellini berichtet, gerne in ihren Gemächern aufgestellt hätte.
Scalini vertritt dagegen die Auffassung: „Sie sollte bei Tisch als Brunnen dienen. Wahrscheinlich ergoss sich aus dem Hals der Medusa ständig Wein mit Hilfe einer besonderen Hydraulik,worüber es Dokumente gibt. So würde es sich erklären, warum es eine verkleinerte Version in Bronze nach der Großplastik auf der Piazza della Signoria gibt und auch, warum sie mit größter Sorgfalt puliert, ziseliert und patiniert wurde.“ (Scalini, S. 40)
Auch die Bronzestatuette ist noch von schlankerer Statur als es der spätere Guss sein würde. Die Position der Medusa ist verändert, auch sind die Blutströme bereits hinzugefügt.
2.2 Die Bronze als künstlerisches Material
Warum beauftragte Herzog Cosimo Cellini den Perseus in Bronze auszuführen?
Cole sieht in dem Perseus-Auftrag eine Wiederbelebung des klassischen Florentiner Materials, das seit fast einem halben Jahrhundert versäumt wurde, angewendet zu werden. Technologisch würde es die pyrotechnische Leistungsfähigkeit der Regierung verdeutlichen, da das Material ja vornehmlich für die Waffenproduktion eingesetzt wurde. Benedetto Varchi, ein Poet und Philosoph in Florenz Mitte des 16 Jahrhunderts und ein enger Freund von Cellini, schrieb laut Cole 1544, dass Cosimo ein großer Kenner der Metallverarbeitung sei. „Sein Wissen und seine Studien über die Metalle glänzte über seine Tugenden hinweg.“ (Cole, Blood S. 215 Übers. MK) Vielleicht war auch dies ein Grund für die Materialwahl des Herzogs.
Im Mittelalter besaß die Bronze als Material vielfältige Konnotationen. Die harte Legierung war einerseits Sinnbild für Macht und Wehrhaftigkeit und sie galt als Ewigkeitsmaterial. Ihre Kostbarkeit nobilitierte sie zur Trägerin und Vermittlerin des Justizwesens. Weiterhin war sie als Heil und Schutzmittel bekannt, dies vielleicht auch nur im übertragenen Sinne. Unzweifelhaft genoss das Material eine hohe Wertschätzung, und diese Tatsache hatte einen hohen sozialen Rang der Bronzegießer zur Folge.
Schon Plinius erschien das verarbeitete Material und die Kunstfertigkeit des Bronzegießers um so wertvoller, je exklusiver das Wissen um die Verfahren der Erzgießerei war. Die Verbindung zur allgewaltigen Natur des Feuers und der Erze war eine gedankliche Verbindung für die Bronzebildner, ihr Wissen und Können langläufig als Geheimwissenschaft erscheinen zu lassen. Nach Dalucas (vgl. Krahn, S. 73) schreibt Vannoccio Biringuccio (1480 geboren und Verfasser des grundlegenden Werks der Metallungie „Pitotechnia“ in 10 Bänden), dass die Gießkunst nur wenigen bekannt und eng verwandt mit der Bildhauerei sei, während Vasari gar vom „Geheimnis des Erzgusses“ spricht.
Cellini entriss demzufolge der Technik des Bronzegusses diesen mystischen Schleier mit seinen detailgenauen Arbeiten „Über die Goldschmiedekunst und die Sculptur“ und den „Traktaten über die Goldschmiedekunst und die Bildhauerei“. Sie legten das sogenannte Geheimnis des Bronzegusses für alle Interessierten leicht verständlich offen.
2.3 Handwerklich-künstlerischer Anspruch Cellinis
Die gesamte autobiografische Berichterstattung Cellinis um die Entstehung des Perseus ist eine Dokumentation über sein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis, mit Hilfe ständiger Versuche den Beweis zu führen, dass er der Meister aller Meister im Bereich des Bronzegusses sei. Immer wieder berichtet er über seine schier grenzenlose technische Versiertheit und dass ihm auch künstlerisch mindestens ein Platz neben Donatello und Michelangelo gebühre.
Dazu aus seiner Vita, nachdem Cosimo beim Anblick des Wachsmodells der Perseus-Medusa-Gruppe bewundernd mutmaßt, dass der Perseus das schönste Werk auf seinem Platz werden würde:
Cellini: „Excellenz, auf dem Platz stehen Werke des großen Donatello und des wunderbaren Michelangelo, die beide seit der Zeit der Alten und bis auf den heutigen Tag die bedeutendsten Künstler überhaupt sind. Eure Excellenz erweisen meinem Modell jedoch eine solche Wertschätzung, daß ich mir zutraue, das Werk dreimal besser als das Modell zu machen.“ (Cellini, S. 534)
Cellini führt die Argumentation zur Ebenbürdigkeit mit den beiden berühmten Söhnen von Florenz in der Folge eher auf der Ebene der Materialwahl und der Diskussion um die künstlerisch-handwerklichen Techniken, als auf der Ebene der ästhetischen Prinzipien und künstlerischen Positionen, dessen er sich sicher ebenfalls hätte rühmen können.
Doch zurück zum Material:
Cellini hebt die handwerkliche Arbeit des Bronzegusses auf ein wertigeres Niveau, als sie bis dahin positioniert war. Cole stellt dazu fest: „In seiner Vita und anderswo widerlegen seine Erzählungen der Annahme, - kräftig artikuliert durch Pomponius Gauricus ein halbes Jahrhundert früher und noch lebendig in der Florentiner Accademia de Disegno,- dass das Gießen höchstens ein mechanischer, untergeordneter Prozess des Modellierens sei, schlimmstenfalls eine verrufene Aufgabe, die besser von einer anderen Person ausgeführt wird.“ (Cole/Blood S. 219)
(Gauricus war ein bekannter Kunsttheoretiker der Renaissance, der um 1504 das Werk „De Sculptura“ veröffentlichte, in dem er die Wiederentdeckung der Zentralperspektive in der Malerei reflektiert.)
Im Gegensatz dazu sieht Cellini in der handwerklichen Virtuosität seines einteiligen Bronzegusses eine Entsprechung zur Könnerschaft der Bildhauer, denen es gelingt ein Werk aus einem Block zu schaffen. Natürlich sielt er damit auf Michelangelo mit seinem David an. Doch auch er selbst war dieser Kunst mächtig, wie er mit seinem Narziss und der Apoll-Hyazinth-Gruppe unter Beweis gestellt hatte.
Herzog Cosimo I. war, wie wir schon gehört haben laut Benedetto Varchi, überaus belesen und ein Kenner der Metallurgie. Durchaus vertraut war er auch mit den statischen Grenzen der Marmorskulptur und vielleicht diesen zu sehr verhaftet, als es zu folgendem Dialog kam.
Ich zitiere aus Cellinis Vita: „ Dann sagte der Herzog plötzlich: Erkläre mir Benvenuto, wie es möglich ist, daß jener schöne Kopf der Medusa oben in der Hand des Perseus je gelingen kann?“ Ich antwortete sogleich: Seht nun, mein Herr, hätten eure Exzellenz von der Kunst jene Kenntnis, die Ihr zu besitzen vorgebt, würdet ihr, was den - wie ihr sagt - schönen Kopf betrifft, nicht befürchten, er könne nicht gut werden, sondern würdet - wohl mit Recht- um jenen rechten Fuß besorgt sein, der dort unten so weit weg ist.“ (Cellini S. 586)
Es wäre eine unüberwindbare statische Herausforderung gewesen, eine Figur mit dem erhobenen Arm und dem Kopf der Medusa in der Hand aus Marmor zu schaffen und isie anschließend gar ohne Schäden zu transportieren. Genau dieses Problem beschreibt laut Cole sogar Jacomo Pontormo, der eigentlich Maler war.
(Medusa wiegt 750 kg, Perseus fast 2 Tonnen)
Cellini sieht in seinem Komplett-Guss jedoch eine Entsprechung der technischen Schwierigkeit in dem Sinne, dass er fehlerlos in einem Stück gelänge. Und er würde mit diesem Verfahren eine Figur ermöglichen, die auch selbst größten Marmorkünstlern niemals gelingen könnte.
Cole geht in seiner Annahme über Cellinis Intentionen sogar noch einen Schritt weiter: „Er (Cellini) lehnte die einfachere und sicherere Möglichkeit ab, den Perseus in Sektionen zu gießen, so, wie es der Bronzegießer bei Donatellos Judith und Holofernes getan hatte, wohl mit der Absicht das Verfahren komplizierter zu machen.“ (Colo, Blood S. 220)
Was bezweckte Cellini damit?
Sowohl nach Quantität als auch Qualität seiner eigenen Äußerungen schien ihm der Entstehungsprozess fast wichtiger zu sein als der überaus gelungene künstlerische Ausdruck und die politische Wirksamkeit des Ergebnisses auf der Piazza della Signoria. Cellini versuchte somit in seiner übertriebenen und dramatischen Darstellung in seiner Vita den Guss und das Gussverfahren selbst zum ebenbürtigen Kunstwerk zu erheben.
Vielleicht entsprach Cellinis Sichtweise auch der veränderten Prioritätensetzung in jener Zeit. Denn in der Renaissance änderte sich, nach Dalucas, allgemein das prinzipielle Verhältnis vom Kunstwerk zum Material. Während das Mittelalter durch die aristotelische Trennung von forma und materia dem Material eine gewisse Beliebigkeit zuwies, formulierte gerade die Renaissance die dingliche Sachlichkeit des Materials als eigenwertige Präsenz. „Das Material wird dem Künstler so zum unmittelbaren Darstellungsmittel der Verwirklichung. Der Realitätscharakter des Kunstwerks wird auf zwei Ebenen bestimmt. Durch den vom Künstler geführten Realisationsprozess wird der geistige Inhalt des Werks (idea) als ideelle Realität mit der objektiven Realität des Materials (materia) verknüpft.“ (Dalucas in Krahn S. 70)
In diesem Sinne war es in der Konsequenz für Cellini unmöglich, den Guss allein fremden Bronzegießern zu überlassen, denn für ihn musste alles, sowohl der Entwurf als auch die Ausführung, - das Modellieren und der Guss - genial sein. Seiner Auffassung nach verfügten die Gießer, die ja hauptsächlich mit dem Guss von Waffen oder auch Glocken beschäftigt waren, bloß über das technische Geschick, der wahre und notwendige Kunstverstand aber fehle ihnen. Und gerade zur Wahrung der künstlerischen Intentionen beharrte Cellini auf den eigenhändigen Guss.
2.4 Der Guss des Perseus
Cellini hatte vorerst in Florenz einige andere Bronze-Plastiken erfolgreich ausgeführt, die Büste des Herzogs und vier kleinere Statuen für den Perseus-Sockel. Er begann mit der Figur der Medusa.
Um ein Gerüst aus Eisen formte er den Frauenkörper und brannte das Modell. Danach wurde die Wachsschicht aufgetragen und mit ihr die Figur vervollkommnet.
Dem Herzog gefiel die bis dahin ausgeführte Medusa so über die Maßen, dass er Angst hatte, der Guss in Bronze könne nicht gelingen und die Figur wäre auf immer verloren. Gleichzeitig drängte er jedoch Cellini, die Arbeiten weiterzuführen.
So schnell er konnte, führte er nun eine großes Tonmodell als Kern des Perseus aus.
Die Arbeiten mussten jedoch komplett unterbrochen werden, denn die Mutter seines jungen Gehilfen Cencio, der Cellini als Modell für des Perseus diente, eine Hure namens Gambetta, beschuldigte ihn der Sodomie und stellte erpresserische Geldforderungen. Cellini floh deshalb 1546 für einige Monate nach Venedig.
Als er nach Florenz zurück kehrte, drängte Cosimo ihn zur Fertigstellung der Figurengruppe und der Guss der Medusa gelang zu aller Zufriedenheit.
Permanent suchte laut Cellini Bandinelli seine Arbeit an der Perseusgruppe und das Vertrauen Cosimos in Cellinis Arbeit zu torpedieren. Dem entsprechend war er ununterbrochen damit beschäftigt, die Wogen bei seinem Auftraggeber zu glätten und die Vertrauenswürdigkeit in sein Können zu verteidigen.
Zudem entpuppte sich als weiterer Hemmschuh seiner Arbeitswut, dass Lattanzio Gorini, der Haushofmeister Cosimos und der für die Bezahlung für Cellinis Arbeit und die seiner Gehilfen zuständig war, diese ständig verzögerte - oder die Zahlungen bisweilen ganz einstellte. Cellini führte auch dies wie alle anderen Schwierigkeiten auf die Einflüsterungen Bandinellis zurück und schwelgte in Gewaltfantasien gegen ihn. Manchmal dachte er sogar an die Ermordung seines Erzrivalen als Günstlings Cosimos. Tatsächlich ergab sich eine Gelegenheit dazu auf der Piazza di San Domenico in Florenz, jedoch zügelte Cellini laut seiner Vita seine Blutgier und sagte zu sich selbst: „Wenn mir Gott soviel Gunst gewährt, mein Werk zu vollenden, dann hoffe ich, mit diesem all meine niederträchtigen Feinde zu Boden zu strecken; so kann ich eine weit größere und ruhmreichere Rache nehmen, als wenn ich meine Wut an einem einzigen ausgelassen hätte.“ (Cellini S. 571)
Also zügelte er sein überschäumendes Temperament, seine bisweilen kriminelle Energie, umseine politisch-strategischen Talente allesamt zu kanalisieren und in die perfekte Vollendung des Perseus-Gusses zu legen. Seine eigene Erwartungshaltung in Bezug auf die Reaktionen der Öffentlichkeit, der Florentiner Künstler und nicht zuletzt des Herzogs auf die Figurengruppe waren außerordentlich hoch. So zeugt sie einerseits wiederholt vom übersteigerten Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein Cellinis, andererseits setzte er sich selbst unter immensen Erfolgsdruck, der sicher auch bis in seine dramatische achtseitige Schilderung des Gusses in der Vita nachwirkte.
Seine einzelnen Arbeitschritte im Dezember 1549
– Die Wachsschicht um den Tonkern war fertig modelliert
– Cellini umgab seinen Perseus mit der Formschicht ausTon, auch Kutte genant. Der verwendete Ton war mehrere Monate gereift, in seiner speziell zubereiteten Mischung mit Ziegenmehl, und anderen organischen Stoffen wie Kälberhaaren, Stuhl und Dung versetzt, die eine größere Porosität des Formmaterials und somit eine bessere Eigenentlüftung gewährleisteten.
– Er umgürtete das Ganze mit Eisen und schmolz das Wachs bei mäßiger Hitze heraus.
– Dann umgab er alles mit einem „Ärmel“ aus Ziegelsteinen mit vielen Lücken und brannte alles zwei Tage lang nochmals zur vollständigen Entfernung des Wachses und Festigung der Innenform.
– Es folgte das Ausheben der Grube und die Aufrichtung der Statue mit Hilfe von Winden und Seilen und das Hineinsenkendes Gusskörpers in die Grube.
– Das Auffüllen der Grube mit Erde erfolgte parallel mit der Anbringung der Luftröhren aus gebranntem Ton.
– Den Brennofen für den Perseus-Guss hatte Cellini selbst konstruiert.
Denn bei den Vorbereitungen zum Guss des Perseus gab es in Florenz, wie schon erwähnt, keine Werkstatt mehr für den künstlerischen Bronzeguss.
Kurze Erläuterung des Ofens:
Dank des harzigen Fichtenholzes brannte das Feuer sehr gut und Cellini verausgabte sich in der Werkstatt beim Anheizen und dem Befüllen des Ofens mit den Metallen (ca. 90% Kupfer und 10% Zinn) völlig.
Das war der Beginn eines Dramas: Loderndes Feuer griff auf die Werkstatt über, das Dach war in Gefahr. Zudem stürmte und regnete es, und das herein peitschende Wasser kühlte den Ofen ab. Mehrere Stunden dauerte der Kampf mit den Elementen, und Cellini überkam nach seiner Schilderung ein heftiges Fieber. Er war gezwungen, sich kurz vor dieser wichtigsten Phase der Entstehung seines Perseus zu Bett legen und die weiteren Arbeiten seinen zahlreichen Gehilfen unter der Leitung von Bernadino Manellini di Mugello anzuvertrauen.
Die verschiedenen Metalle begannen schon im Ofen zur Bronze zu legieren.
Breiten Raum nimmt die Schilderung seines unmenschlichen Leidens ein, er versicherte allen um ihn herum: „Morgen mittag werde ich nicht mehr am Leben sein.“
Ein Mitarbeiter brachte ihm dann die wirklich schreckliche Nachricht an sein vermutetes Sterbebett „O Benvenuto, Euer Werk ist verdorben, es gibt keinerlei Abhilfe mehr.“ (Cellini S. 592) Als wären diese Worte die Initialzündung für ein neues Leben voller Ehrgeiz, Tatendrang, Schaffenskraft und Kampfesgeist, erhob sich der Todkranke von seinem Lager und hastete in die Werkstatt. Er vermutete wiederum einen Verrat, der seine Arbeit zerstören sollte und handelte voller Wut und Entschlossenheit. Das Metall im Ofen war geronnen, es hatte einen ,Kuchen‘ gebildet. D.h. die Bronze hatte sich verfestigt. Nun geschah alles sehr schnell. Nachdem Cellini die an der Möglichkeit des Erfolges zweifelnden Mitarbeiter zur Raison gebracht hatte, gab er klare Anweisungen. Einige Gehilfen schickte er auf das Werkstattdach, um dort das ausgebrochene Feuer zu bändigen, andere errichteten einen Verschlag aus Brettern, Tüchern und Teppichen zum offenen Garten hin, um den Ofen und sich selbst vor Regen und Sturm zu schützen. Von der benachbarten Metzgersfrau wurde trockenes Eichenholz zum Feuern geholt. Zusätzlich warf er 60 Pfund Zinn in den Ofen, um die Bronze wieder zu verflüssigen. „Mittels weiteren Holzes und dadurch, das man mit Eisen und Stangen darin herumstocherte, wurde der Kuchen in kurzer Zeit flüssig. Als ich feststellte, dass ich - entgegen dem Glauben der Unwissenden - einen Toten erweckt hatte, kehrte eine solche Kraft in mich zurück, dass ich nicht mehr wahrnahm, ob ich noch Fieber oder Angst vor dem Tod hatte.“ (Cellini S. 595)
Durch die immense Hitze, die das Eichenholz erzeugte, barst der Ofen und die Bronze drohte überzulaufen. Cellini ließ die Zapfen wegschlagen und das Metall floss durch die angelegten Kanäle zur Perseus-Form. Jedoch zu zäh, - also ließ er seinen halben Hausrat, nämlich 200 Zinnteller und Gefäße in die Werkstatt holen und fügte einen Teil des Metalls in den Ofen und einzelne Teile nach und nach in den Gusskanal. Dies war auch der Zeitpunkt, zu dem Cellini nach eigenem Bekunden Gott anrief mit den Worten: „O Gott, der du dank deiner Allmacht von den Toten auferstanden und glorreich in den Himmel aufgefahren bist!“ (Cellini S. 595) Man mag kaum die sicher von ihm evozierte Analogie in Worte fassen, erscheint sie doch ausgesprochen gotteslästerlich; denn auch Cellini war sozusagen von den Toten auferstanden und hat zudem eigenhändig das totgeglaubte Material, den zähen ,Kuchen‘ zu neuem Leben erweckt. Denn die Zugabe seines Zinnhausrats verflüssigte die Bronzelegierung derart, dass sie nun planmäßig die Perseus-Form füllen konnte.
Als wäre nichts geschehen, wandte er sich anschließend einer Schüssel Salat zu und trank und aß zusammen mit seinen Gehilfen mit großem Appetit und ging heiter und gesund zu Bett. Selbstverständlich verbreitete sich die Kunde um die Ereignisse des Gusses in Windeseile und Cellini versäumte nicht, in seiner Vita ausführlich zu berichten, welche gottgleiche, respektive teufelsgleiche Ehrfurcht seinen Großtaten in der Bronzegießerei entgegen gebracht wurde. Doch wie schon angedeutet, beschrieb Cellini weit mehr als „nur“ einen Bronzeguss: (Cole, Blood S.221. Übers. MK) „Sich selbst als einen Bronzegießer darstellend, entdeckte Cellini, dass er etwas tun konnte, was kein Stein-Bildhauer konnte: er konnte erklären, wie er seine Figuren beseelte.“
Cole weist in seinem Aufsatz „Cellinis Blood“ ausführlich auf antike und zeitgenössische Quellen hin, die die Beherrschung und das Wesen der Metalle in ihren unterschiedlichen Aggregatzuständen thematisieren.
Nach dem Glauben der Griechen war der Hauptbestandteil der Metalle wässeriger Natur und Metalle entstünden durch die Gerinnung des in der Erde gefangenen Wassers. Nach der aristitotelischen Lehre nahm man an, dass in den wässrigen und öligen Bestandteilen der Metalle „pneuma“, ein Lebens-Geist, präsent sei. Niemand stritt nach Cole im 16. Jh den Gedanken ab, dass dass Metalle, die von Wasser abstammen, belebend seien. Vielfach wurden jedoch auch alchemistische Zusammenhänge und ein dem Metall innewohnender Geist reklamiert, der durch die Verflüssigung des Metalls wieder freigesetzt wird.
Vannoccio Biringuccio schreibt in ,De la pirotechnica‘: (Zitat nach Cole) „Alchemisten wollen die Seelen vom den Körpern (aus Metall) trennen und sie wieder nach eigenem Willen zurückfügen, als seien sie Dolche in ihren Scheiden. Ich glaube, dass es mit dem Willen des Feuers möglich ist, Substanzen aus Dingen herauszulösen, die man Geist oder Seele nennt, und sie zu Dämpfen zu reduzieren. Aber ich werde nicht glauben, dass, wenn sie einmal entnommen sind, wieder rückgeführt werden können, für solch ein Ergebnis bräuchte man nichts anderes als das Wissen, wie man Tote wiedererweckt.“(Cole, Blood S. 222)
Cellini war sicher mit vielen dieser Schriften ebenso vertraut wie mit den Grundlagen der aristotelischen Theorien über das Wasser, die Metalle und die ihnen zugeschriebenen beseelenden Kräfte. Offensichtlich ist auch, dass diese besonderen Sichtweisen der Metallurgie Einfluss auf die Formulierungen in seiner Vita hatten, waren die gottgleichen Wiedererweckungsideen doch für seine Reputation als genialer Bronzegießer äußerst hilfreich.
Als Künstler beschäftigte Cellini vorrangig die Aufgabe, seinen Figuren im metaphorischen Sinne Leben einzuhauchen, sie zu beseelen. Alles, was ihm dabei half, nutzte er letztlich zur Bewältigung genau dieser Aufgabe: Seine künstlerische Gestaltungskraft und seinen Erfindungsgeist, sein handwerkliches Geschick sowie die tatsächlichen und zugeschriebenen Eigenheiten des künstlerischen Materials Bronze. Hinzu komm sein ausgeprägtes Talent zur Selbstdarstellung,.
3. „Der Fuß des Perseus und der hinkende Hephaistos“
Wie wir in anderem Zusammenhang schon gehört hatten, äußerte Cellini selbst Zweifel am guten Gelingen eines Gusses des rechte Fußes des Perseus. Ich zitiere aus seiner Vita jene Passage, in der Cellini nach der Abkühlung den Tonmantel entfernte. „Ich trieb nun die Arbeit, das Werk vollständig aufzudecken voran, und stets stellte ich fest, dass alles bestens gelungen war, bis ich zum Fuß des aufrecht stehenden Beines kam. Da sah ich, daß die Ferse geglückt war, als ich fortfuhr, bemerkte ich, daß alles gefüllt war, worüber ich mich einerseits sehr freute, was mir andererseits unangenehm war, weil ich dem Herzog zuvor behauptet hatte, der Fuß könne nicht gelingen.“(Cellini S. 598)
Bis hierher sollten wir davon überzeugt sein, dass der Guss gut gelungen sei, also auf italienisch „ben venuto“. Jedoch fährt Cellini in seiner Vita fort: „Als ich ihn (den Fuß) aber dann ganz freilegte, entdeckte ich, daß die Zehen des betroffenen Fußes nicht gegossen waren, und zwar nicht nur die Zehen, sondern auch ein kleiner Teil oberhalb der Zehen, so, daß dem Fuß etwa die Hälfte fehlte. Obwohl mir daraus einige Arbeit erwuchs, kam es mir doch sehr gelegen, nämlich nur um den Herzog zu zeigen, dass ich von dem, was ich tat etwas verstand.“
Nach Dalucas berichtete Bruno Bearzi 1971 anlässlich der Restaurierung des Perseus, dass der integrale Guss der Figur vollständig gelang. Auch der rechte Fuß wurde offensichtlich zu keiner Zeit ausgebessert. Ein Geheimnis, welches über 400 Jahre verborgen blieb.
Was bezweckte Cellini also mit dieser fiktiven Darstellung?
Pope-Hennessy berichtet, dass Cellini den fehlerhaften Fuß zum Anlass oder Vorwand nahm, einen Antrag an Herzog Cosimo auf zusätzliches Equipment und vier weitere Gehilfen zu stellen, um die Figur endlich fertig stellen zu können.
Dalucas sieht in dieser Darstellung voller Überzeugung eine von Cellini kunstvoll entwickelte Analogie, die auf den Mythos des hinkenden Hephaistos, oder römisch Vulcanos, den Gott der Feuer und der Schmiede, zielt. „Cellini löste daher mit seiner Geschichte vom unvollkommenen Perseus-Guss nicht nur die eigene Vorhersage ein, sondern stellte innere Verbindung mit dem Vater der Erzgießer her. Er belegte damit aufs Neue die Ehrwürdigkeit seiner Kunst sowie seinen Sachverstand bezüglich der Bronzegießerei. Außerdem demonstrierte er eine quasi natürliche Lässigkeit, was der Forderung nach Anmut entsprach und die klassische These der auf Harmonie beruhenden Schönheit differenzierte. (Dalucas, in Krahn S. 380)
Diese Darstellung von Piero di Cosimo (um 1490, 155x174, Öl auf Holz, Hartford, Conneticut) illustriert folgende Legende: Da Hephaistos klein, hässlich und schreiend auf die Welt kam, zudem mit einem verkrüppeltem Fuß, bei dem die Zehen nach unten abgebogen waren, wurde er von seiner Mutter vom Olymp geschleudert und fiel dabei in den Okeanos bei der Insel Lemnos.
Eine andere Deutung besagt, dass seine Behinderung eine Folge von Heras abscheulicher Tat war. Wesentlich für die mögliche Analogie zu Cellinis Perseus war, dass Homer in seiner Illias die Figur des Gottes der Schmiede mit dem erfindenden Verstand des Künstlers verband. Insofern ist diese fiktive Darstellung durchaus ein passendes Instrument für Cellini zur Unterstreichung seines Wissens und seiner Genialität, - und das zusätzlich gewürzt mit Analogien zu antiken und aktuellen Gottheiten.
Dermaßen „fußsensibilisiert“ möchte ich noch zwei Fußnoten hinzufügen:
Hier die Cellini-Statuette des Merkurs aus dem Perseus-Sockel, deren rechter Fuß tatsächlich nicht „ben venuto“! - also gut gekommen war. Jedenfalls fehlen all Zehen - bis auf den Großen.
Ebenso instruktiv ist ein Blick auf die Rückseite der Herkules-Cacus-Gruppe von Baccio Bandinelli, dem Erzfeind Cellinis. Dort sieht man den Fuß des Cacus, jenes feuerspeienden Riesen, den Herkules bezwang. Cacus war der Sohn des Hephaistos oder Vulkan. Und sicher in Anspielung auf dieses Verwandtschaftsverhältnis gestaltete Bandinelli seinen Fuß verkrüppelt und zwischen Steinplatten eingeklemmt. Inwieweit und ob dieses Detail in Zusammenhang mit Cellinis sonderlicher Fußgeschichte steht, wäre sicherlich Stoff für eine weiter reichendere Recherche.
Literatur
– Bewer, Francesca: Del formare e del getto, Vom Modellieren und vom Gießen,
Die Herstellung von Bronzestatuetten im 16. Jahrhundert, in: Krahn, Volker (Hrsg.)
– Von allen Seiten schön, Bronzen der Renaissance und des Barock, Krahn, Volker (Hrsg.) Berlin 1995
– Braunfels, Wolfgang: Der Kunstbrief, Perseus und Medusa von Benvenuto Cellini,
Berlin 1948
– Cellini, Benvenuto: Mein Leben, Die Autobiographie eines Künstlers aus der Renaissance, Zürich 2000
– Cole, Michael W.: Cellini and the Principles of Sculpture, Cambridge 2002
– Cole, Michael W.: Cellini’s Blood, in: Art-Bulletin, 1999 No. 2 June, S. 215-235
– Dalucas, Elisabeth: Ars Erit Archetypus Naturale, Zur Ikonologie der Bronze in der Renaissance, in: Krahn, Volker (Hrsg.) Von allen Seiten schön, Bronzen der Renaissance und des Barock, Berlin 1995
– Dalucas, Elisabeth: Der Fuß des Perseus in: Künste und Natur, Bnd. 1, Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Wolfenbüttel 1997, S. 373-381
– Galluci, Margret A., Rossi, Paolo L. (Hrsg): Benvenuto Cellini - Sculptor, Goldsmith, Writer, Cambridge 2004
– Hirthe, Thomas: Die Perseus-und-Medusa-Gruppe des Benvenuto Cellini in Florenz, Sonderdruck Jahrbuch der Berliner Museen 1987/88, Berlin 1988
– Mutture, Peta (Hrsg.): Large Bronces in the Renaissance, National Galllery of Arts, Washington 2003
– Poeschke, Joachim: Die Skulptur der Renaissance in Italien, Michelangelo und seine Zeit, Bnd. 2, München 1992
– Scalini, Mario: Benvenuto Cellini, Königstein im Taunus: Langewiesche 1995
– Wolf, Gerhard: Der Splitter im Auge – Cellini zwischen Narziß und Medusa in: Alessandro Nova, Anna Schreurs (Hrsg.) Kunst und Kunsttheorie im 16. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2003
© Marianne Knipping