Luc Tuymans:
Rückbesinnung auf traditionelle Malerei?
Die Abbildung zu diesem Artikel finden Sie unter:
http://www.wikiart.org/en/luc-tuymans/the-time-1988-1
Gegenwärtig zählt der in Antwerpen lebende Luc Tuymans (*1958) zu den erfolgreichsten Künstlern der internationalen Kunstszene. Kaum eine bedeutende Ausstellung für Zeitgenössisches, in der er nicht mit seinen indifferenten Bildern vertreten ist. Auf der Biennale Venedig (2001) vertrat er sein HeimatlandBelgien, zur documenta (9 und11) wurde er gleich zweimal eingeladen. Münchens Pinakothek der Moderne widmete ihm 2008 anlässlich seines 50. Geburtstages eine fulminante Werkschau. Ein gefeierter Künstlerstar, unbegreiflich erfolgreich aber dennoch ein Rätsel.
Spätestens seit diesem Hype um Tuymans reißen sich Galerien, Museen und Sammler um seine Werke. Doch warum stoßen die wie ausgebleicht wirkenden Malereien auf solch eine enorme Resonanz? Erklärt vielleicht die nostalgische Rückbesinnung auf das Gegenständliche, auf leicht überschaubare Klein- und Mittelformate die erstaunliche Popularität seiner Werke, wie sich auch auf dem millionenschweren Kunstmarkt zeigt? DER SPIEGEL notierte, Luc Tuymans sei „ein konsequenten Verfechter der Malerei selbst in Zeiten, in denen man lieber installierte oder fotografierte, als einen Pinsel in die Hand zu nehmen.“ (Heft 46/2008) Tuymans also ein Erneuerer der vergessenen Historienmalerei? Zumindest bestätigt der „redselige, große Belgier“ (Reinhard Mohr im ZDF), der seine Produktionen gern ausschweifend kommentiert, diese abgrenzende Position in Abgrenzung zu anderen Zeitgenossen in mehreren Interviews.
„Meine Bilder sind Gedächtnisbilder“
Das Publikum fühlt sich herausgefordert angesichts der hermetischen Szenerien der Bilder, die, kühl und rätselhaft wie sie erscheinen, ein beklemmendes Unbehagen auslösen. Dabei versichert Luc Tuymans immer wieder den unverfälschten Wirklichkeitsanspruch, das strikt Dokumentarische seiner Malereien, die dem kollektiven Gedächtnis entnommen seien: „Damit habe ich dann ganz früh eine Entscheidung getroffen, nur aus der Wirklichkeit oder einer ziemlich nahen Geschichte heraus zu arbeiten.“ Als Vorlagen dienen ihm Dokumentarfotos, Filme, Archivmaterial, Zeitungsausschnitte. Davon fertigt er fahle, unscharfe Polaroidaufnahmen, Vergrößerungen oder Verkleinerungen, die dann in ein neues Bild münden. Seine kargen Werke erscheinen still, sind unspektakulär, – und erzeugen dennoch einen nachhaltigen Schrecken. Ihren jeweiligen dokumentarischen Hintergrund sichert Tuymans durch akribische Recherchen ab, denn von Bilderfindungen und Imagination hält er wenig. Bei aller Würdigung dieser Absichten und ihrer formalen Einhüllung in eine abstrahierende Bildlichkeit sind es meist nur Ausschnitte, denen aufgrund ihrer trügerischen Autonomie nicht sofort auf die Spur zu kommen ist. Worauf verweisen in der Serie „Die Zeit“ (1988) die vergrößert dargestellten Tabletten, leere Wandregale, das Dorf mit einer Kaserne oder die arrangierte Person? (Abb. 1) Gibt es innerhalb anderer Werkgruppen mit Titeln wie „Der Architekt“, „Les Revenants“, „Der diagnostische Blick“ oder „Beautiful White Man“, ähnliche narrative Bindeglieder der angewandten künstlerischen Strategie?
Horror der Geschichte hinter dem Bild
Beim interpretieren seiner Motive hilft Tuymans dem Betrachter auf die Sprünge. Fast immer geht es ihm in seinem fassettenreichen Schaffen um Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im kleinformatigen (ca. 35 x 40 cm) Zyklus „Die Zeit“ demonstriert er im hier gezeigten Porträt sein Kalkül in exemplarischer Weise: Vor einem angedeuteten Aktenregal sitzt mit ausdruckslosem, farblich aber betontem Gesicht ein attraktiver, finster blickender Mann. Man ist versucht, ihn aufgrund seines – fast modisch wirkenden – Images durch eine dunkle Sonnenbrille, mit dem Schlagerkönig Heino, Karl Lagerfeld oder einer Ray-Ban-Werbung zu verbinden. Alles abwegig. Tuymans möchte das Kunstwerk als Auslöser eines Denkprozesses nutzen, ästhetische Erlebnisse interessieren ihn nicht. Gemalt ist „das Entsetzen“ in Gestalt von Reinhard Heydrich, einem der übelsten Verbrecher des Naziregimes. Er war ab 1941 als hoher SS-Offizier mit der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ beauftragt und gilt als maßgeblicher Organisator des Holocausts. 1942 leitete er die berüchtigte Wannsee-Konferenz. Zeithistoriker charakterisieren ihn als abstoßende Person und betonen „vor allem seine antrainierte Kälte, die Kombination aus rein karrieristischem Denken, beflissener Effizienz, später dann fanatischer Ideologie und kaltem Verbrechertum.“ (Gerwarth 2011) Als Vorlage für dieses Bild Tuymans diente wahrscheinlich eine Aufnahme des Holocaust-Drahtziehers aus dem Bundesarchiv in Berlin oder ein Foto aus dem NS-Propagandablatt „Signal“ (Abb. 2). Wie in einem dialektischen Prozess entsteht das kalte Grauen erst, wenn der Betrachter die barbarischen Verbrechen der Vergangenheit hinter dem Bildnis des Schreibtischtäters erkennt.
Boulevardisierung der Kritik
Es gehört zum Wesen des Kunstbetriebs mit seinen harten Bandagen, Tuymans „beherzten Umgang mit heiklen Themen“ (Jenny Hoch) scharf zu kritisieren. Die monströsen Verbrechen der Geschichte könne man nicht auf diese Art und Weise vergegenwärtigen, polterte der Boulevard, zumal die idyllischen Szenerien im Prinzip nichts mit der „aufgepfropften“ – bei Tuymans stets barbarischen – Deutungsgeschichte zu tun haben. Und lediglich über den herbei zitierten Bildkommentar dem Publikum das Blut in den Adern gefrieren zu lassen, sei verwerflich, – was paradoxerweise jedoch die Aufmerksamkeit gegenüber den Bildern enorm erhöhe. Abgeneigt schrieb ein Kritiker: „Offenbar hat bislang niemand Tuymans darauf hingewiesen, wie eingehend die Geschichte des Dritten Reichs erforscht und dokumentiert worden ist – und dass es auch an der Banalität des Bösen nichts mehr zu enthüllen gibt.“ (Rauterberg 2003)
QUELLEN U.A.: Gerwarth, Robert: Reinhard Heydrich. Berlin
2011 Luc Tuymans. Museum of Art (Katalog). San Francisco 2009
Rauterberg, Hanno: Schwach gemalt, schwach gedacht. In: DIE ZEIT, Nr.18 vom 24.04. 2003
Abbildungen im Original-Artikel:
1. Luc Tuymans: Porträt, aus dem vierteiligen Zyklus „Die Zeit“ (Time), Öl auf Leinwand,
41 x 40 cm, 1988
2. Fotoporträt von Reinhard Heydrich in der Uniform eines SS-Gruppenführers, ca. 1940/41
Luc Tuymans: Rückbesinnung auf traditionelle Malerei?
In: Zeitschrift KUNST 5 –10 | Heft 38 / 2015 (Friedrich Verlag), S. 44 ff.