erschienen in: Kirchner, Constanze/ Peez, Georg (Hrsg.): Werkstatt: Kunst. Anregungen zu ästhetischen Erfahrungs- und Lernprozessen im Werkstattunterricht. Hannover 2001 (BDK-Verlag), S. 70-75
Wider die methodische Monokultur – Werkstattunterricht aus bildungsplanerischer Perspektive
»Pädagogische Theorie [...] entsteht an der Praxis. [...] Aus diesem Zustand der Theorie wie aus der Eigenart des Verhältnisses, in dem Theorie und Praxis im pädagogischen Feld zueinander stehen, erklärt es sich, dass die Praxis unmittelbarer am Prozeß der Theoriebildung beteiligt ist als in anderen Bezirken. Da die Theorie der Praxis nicht vorgeschaltet und die Praxis der Theorie nicht nachgeordnet werden kann, entsteht Theorie wesentlich im dauernden Bemühen um verbesserte Formen der Praxisbewältigung [...]. Die theoretischen Strukturen [müssen] aus der Praxis herausgelesen werden [...] und die vorhandene Theorie [muss] an einer stets sich ändernden Praxis immer wieder überprüft, weiterentwickelt, modifiziert, erneuert, ja vielleicht sogar widerrufen werden.« (Otto 1964, S. 151)
Von der Fundgrube methodischer Zugriffsweisen auf Lerninhalte sollten staatliche Rahmenvorgaben nicht weit entfernt sein, administrativ gesteuerte Bildungsplanung bedarf eines wissenschaftlich gesicherten Bezugssystems, sie darf keine Luftschlösser bauen oder nur Worthülsen fabrizieren und sie muss auf der Basis personeller, inhaltlicher und operationaler Vorgaben stets das Machbare berücksichtigen. Gute Bildungsplaner sind folglich ›Realos‹, weil sie gezwungen sind, politischen Realitäten konsensuell zu folgen (Finanznot der öffentlichen Haushalte, antiquiertes Schul- und Dienstrecht, Überalterung des Personals, hektische Parteipolitik, top-down-Entscheidungen etc.). Vielleicht leisten bildungsplanerische Vorgaben aufgrund ihrer systemischen Zwänge damit der Mittelmäßigkeit Vorschub, denn selten nur schaffen staatliche Planungen – abgesehen von Reformversuchen der zwanziger oder siebziger Jahre – etwas wirklich Innovatives. Bestenfalls berufen sie sich auf aktuelle erziehungswissenschaftliche, fachdidaktische oder gesellschaftspolitische Diskurse, die einem Fortschritts- oder Modernitätsanspruch verpflichtet sind.
Auch Kunst-Lehrpläne unterliegen diesen Einflüssen. Lassen wir den häufig beklagten Wildwuchs realer kunstpädagogischer Lernorganisation beiseite, wurzelt – trotz allen Nichtwissens über ihre tatsächlichen Auswirkungen – die zu einem stattlichen Stamm herangereifte Fachpädagogik historisch in den Ideen der Kunsterzieherbewegung, die sich zu Beginn des Jahrhunderts als progressives Pendant oder gar Movens der aufkeimenden Reformpädagogik verstand. Aus heutiger Distanz ging vom dort bereits propagierten Werkstattgedanken seit jeher eine besondere Faszination aus: Die eine Argumentationslinie hat mit der Affinität zu künstlerischen Produktionsverfahren in Atelier oder Bildhauerwerkstatt zu tun. Die andere Linie beruft sich auf die handwerkliche Traditionslinie, weil kunstpädagogische Praxis als bevorzugte Aneignungsform an adäquaten Aktionsformen vorgesehen ist. William Morris als Gegner maschineller Produktion könnte hier Pate gestanden haben. Besonders die kunstpädagogische Ausgestaltung praktischen Arbeitens, bei der möglichst großformatig und freizügig gemalt, gegipst, gepanscht oder konstruktiv gebaut wird, lehnt sich an künstlerisch-handwerliche Verfahren mit allen nur denkbaren Werkstoffen und Techniken an. Die später aufgekommene Film- und Fotoarbeit oder die Produktion von Keramik in Fachwerkstätten ergänzt das fachliche Spektrum, denn herkömmliche Klassenräume sind für all diese raumgreifenden Aktivitäten gänzlich ungeeignet.
Vielleicht entwickelte sich auch aus diesen fachspezifischen künstlerischen Arbeitsweisen und Raumansprüchen der Kunsterziehung mit der Zeit eine besondere, nicht nur aus Sicht der Schülerinnen und Schüler »eigenartige« Erziehung, denn zumindest haben die ästhetischen Handlungsformen und Produktionsorte neben verschiedenen anderen Sichtweisen auf das Fach am abweichenden Image der Kunstpädagogik einen gewissen Anteil. Möglicherweise treten gewichtige weitere Gründe hinzu: Kunstunterricht wird als luxuriöse Sonderform des Lernens angesehen, er entwickelt sich im Strom von Standardisierungsprozessen, also jenseits der sogenannten Hauptfächer, zum klassischen Nebenfach zurück. Die zwar noch im Pflichtkanon erbrachte schulische »Leistung« passt sich mit ihren nach außen nur schwierig zu vermittelnden Werturteilen dem ohnehin schon fragwürdigen Beurteilungssystem nicht friktionsfrei an. Das manchmal Exotische des Faches kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass der sich bereits in den zwanziger Jahren auch baulich analog zu naturwissenschaftlichen Fachräumen, Sporthallen oder Musiksälen etablierte nischenartige Wirkungskreis des Kunstlehrers sich im Alltag zunehmend zu einer Art Fachwerkstatt herausbildete. Von jeher herrschte in ein eigenartiges Flair. In diesen Sonderbereich ziehen sich angesichts der Unruhe des Schulbetriebs sowohl die Lehrkräfte wie auch die Schülerinnen und Schüler gern zurück. Wo kann man schon in der Pause getrost weiterarbeiten, Cola trinken, Musik hören oder sich beim Arbeiten angeregt unterhalten?
Also stellt der Kunstbereich zuweilen auch heute noch eine Art vergrößertes Künstleratelier dar, in dem das Ungeregelte, Abweichende und Andere gern zugelassen ist. Allerdings zieht diese Absonderung auch unterschwellige oder gar offene Spannungen nach sich, denn was im Kunstunterricht gelehrt und gelernt werden soll, unterliegt freilich ebenso der staatlichen Vormundschaft und Aufsicht. Es geht um die Orientierung an verbindlichen Lehr- und Strukturplänen, die Anpassung an schulische Rituale und Rechtsauflagen. Ihre latente Problematik soll nicht vertieft werden, doch ganz unabhängig von den Vorstellungen kunstpädagogischer Praxis ist der öffentlich inszenierte Schulbetrieb ohne Regelwerke, also ohne Rechtsverordnungen und Rechenschaftspflichten, nicht denkbar. Moderne »Schulentwicklung kann ohne Lehrplanentwicklung nicht erfolgreich sein. Denn der Bildungsauftrag der Schule wird formuliert in Lehr- und Lernprogrammen, sie geben an, was die Schülerinnen und Schüler auf welche Weise lernen sollen.« (Schule 2000) Was im öffentlichen Schulwesen geschieht, unterliegt damit der staatlichen Aufsicht, ihre Leitlinien manifestieren sich in curricularen Vorgaben, die heute – ganz neokonservativ und rückwärtsgewandt – wieder Lehrpläne heißen.
Schon die alten Lehrpläne der fünfziger und sechziger Jahre (Bildungspläne 1957) rekurrieren auf den verschiedenartigen Arbeitsweisen der »musischen Bildung«, die, stundenmässig damals noch beneidenswert üppig ausgestattet, als »Bildnerisches Gestalten« die Kunsterziehung mit dem eigenständigen Fach Werken kombinierte. Im Feld der bildnerischen Praxis wurde auffallend unterschieden zwischen »Klassenzimmertechniken« und »Werkstattgebundene[m] Gestalten« (ebd., S. 405 f.), das den historischen Berichten zufolge häufig in verliesartigen Kellergewölben, aber auch in großzügig ausgestatteten Zeichensälen oder geräumigen Werkstätten stattfand. Und ganz dem damaligen kulturpessimistischen Zeitgeist Gehlens, Sedlmayrs und Freyers folgend, wird in den staatlichen Lehrplänen inbrünstig das ›Besondere‹ des erzieherischen und ästhetischen Anliegens betont, denn Kunsterziehung versteht sich nicht als normales Unterrichtsfach: »Die durch eigenes bildnerisches Tun gewonnenen Erfahrungen sollen in [...] dem Kind die Augen öffnen für Wert und Unwert [...] der Dinge, die es täglich umgeben.« Kinder sollen zum »Mitträger einer gediegenen Volkskultur werden« und der Fachunterricht soll »das gesamte Schulleben durchdringen, ein Gegengewicht gegen die einseitige Ausbildung des Intellekts und einen Beitrag zur Schulung der Sinne darstellen«. (ebd. S. 403)
Unbeschadet des späteren Paradigmenwechsels von der betulichen musischen Erziehung zum aufgeklärt rationalistischen Konzept des Kunstunterrichts in den sechziger Jahren offenbart sich eine Kontinuitätslinie, die, ausgehend vom Blick auf die angesprochenen Ansprüche der Aktions- und Raumfrage des Werkstattgedankens, bis in die hessischen Rahmenrichtlinien der siebziger oder in die Rahmenpläne der achtziger Jahre hineinreicht.
Alle zurückliegenden curricularen Konzeptionen markieren demzufolge deutlich, dass aufgrund der methodischen Entscheidung zu Gunsten des praktischen ästhetischen Handelns im Kunstunterricht eine vom normalen Lehrbetrieb abweichende Unterrichtsorganisation als unverzichtbar angesehen wird. Insofern war es fachdidaktisch – und planerisch – nur folgerichtig, auch in die staatlichen Rahmenvorgaben der neunziger Jahre (Rahmenplan Kunst [Sek. I] 1996) ausführliche Leitvorstellungen einer besonderen, werkstattorientierten methodischen Lernorganisation aufzunehmen, zumal das revidierte Hessische Schulgesetz (1992) einen dafür günstigen Referenzrahmen bildete. Das Gesetz legt fest, dass »der Unterricht [...] auf der Grundlage von Rahmenplänen erteilt [wird]. Sie müssen die allgemeinen und fachlichen Ziele der einzelnen Fächer, Lernbereiche oder Aufgabengebiete sowie didaktische Grundsätze, die sich an den Qualifikationszielen des jeweiligen Faches, Lernbereichs oder Aufgabengebiets zu orientieren haben, enthalten und verbindliche und fakultative Unterrichtsinhalte in einem sinnvollen Verhältnis so zueinander bestimmen, dass die Lehrerin oder der Lehrer in die Lage versetzt wird, die vorgegebenen Ziele in eigener pädagogischer Verantwortung zu erreichen und Interessen der Schülerinnen und Schüler einzubeziehen.« (Hessisches Schulgesetz 1992, § 4 (1)) Reformpädagogische Lernprinzipien bilden darüber hinaus auch den Kern zu einer Neubestimmung der Rolle der Lehrkräfte, der stärkeren Selbsttätigkeit und Eigeninitiative der Kinder und Jugendlichen, einem entspannten Lernklima und der Öffnung der Schule gegenüber ihrem sozialen Umfeld.
Eine weitere bildungsplanerische Komponente, die den alten Werkstattgedanken ebenfalls verstärkte, bildeten in den neunziger Jahren die Entwicklungen der Fachdidaktik, die sich zu diesem Zeitpunkt intensiv der Frage der Rationalität ästhetischer Erfahrung von Kindern und Jugendlichen widmete. In der kunstdidaktischen Diskussion, die sich um eine über ihren engeren Wirkungskreis der Ausbildung hinaus gehende Legitimation und Neugewichtung ästhetischer Bildung bemüht, sind zwischenzeitlich deutliche »Verschiebungen« feststellbar. (vgl. Koch 1994, Grünewald et al 1997 ) Eine für Bildungsplanung und Lernorganisation fruchtbare These lautet: „Ästhetische Erfahrung bezieht sich nicht auf Kunsterfahrung, sondern ist ein Modus, Welt und sich selbst im Verhältnis zur Welt und zur Weltsicht anderer zu erfahren.“ (Otto 1994, S. 56) Vor allem ausgehend von Wolfgang Welschs Thesen ›Zur Aktualität Ästhetischen Denkens‹ wird abgeleitet, dass die Auseinandersetzung mit Phänomenen des Ästhetischen neben den bewährten kunstpädagogischen Praxisformen von kognitiv-theoretischen und praktisch-handelnden Aneignungsprozessen jenen unverwechselbaren, »einmaligen Vernunftstypus« (Seel 1985) konstituieren hilft, der zum einen der wissenschaftlichen Vernunft nicht gegenüberzustellen ist oder sie ausschließt, der sie zum anderen produktiv ergänzt, – und damit den Menschen als Subjekt mit ästhetischen Wahrnehmungs- und Sinnestätigkeiten überhaupt erst konstituiert. Es geht folglich um eine Wechselbeziehung zwischen szientifischer und ästhetischer Rationalität, um ein Ergänzungsverhältnis. »Ästhetische Prozesse, seien sie produktiver oder rezeptiver Art – genauer müßte man sagen, eher objektivierender oder internalisierender Art, denn auch Rezeption konstituiert ästhetische Objekte und Prozesse – sind Resultate von Erkenntnisprozessen, wobei diese Prozesse nach Struktur und Qualität in ganz eigener und unverwechselbarer Form dimensioniert sind.« (Kaiser 1997, S. 29)
Die Prämissen dieses Ansatzes stellen zum einen heraus, dass den in der ästhetischen Erziehung zu erwerbenden Kompetenzen – es geht um Lernen und Begreifen im unmittelbarsten Sinne – eine existenzielle Dimension zukommt. Ohne Phantasietätigkeit, Sozialfähigkeiten, Problemlösungsverhalten, utopisches Denken, angewandte Kreativität etc. ist humane Daseinsbewältigung unmöglich. Zum anderen übernehmen die frei von pathetischen Versprechungen verwendeten Begriffe des ›elementaren‹ oder ›authentischen Lernens‹ aufgrund ihrer operativen Logik in dieser Begründung eine entwicklungspsychologisch klar definierte Rolle: Denn was in diesen Erfahrungen anzueignen ist, gleicht »lebensweltlicher Fundierung menschlichen Handelns« (Meyer-Drawe 1984, S. 508), die sich durch keine andersartige Aneignungsform substituieren läßt. Der entsprechend praxisbetonten pädagogischen Auseinandersetzung mit Kunst entspricht demzufolge eine erstrebenswerte conditio humana. Es versteht sich von selbst, dass die dazu passenden Aneignungsformen eng mit den angesprochenen Methodenfragen korrespondieren. Das hier behandelte Werkstattkonzept bildet dazu eine passende – man könnte auch sagen: kompatible – Form.
Daher versuchen folgende verbindliche Empfehlungen in den Rahmenplänen (1995) als Vorschlag zur Lern- und Unterrichtsorganisation die fachspezifischen Arbeitsweisen zu konkretisieren: »Kunstunterricht orientiert sich – wo immer es möglich ist – am Werkstattgedanken, in dem die schöpferische Selbsttätigkeit der Schülerinnen und Schüler dominiert. Entsprechend müssen Lernprozesse in Form ästhetischer Praxis unter Berücksichtigung notwendiger kreativer Freiräume organisiert werden.
Das bedeutet nicht die Verabsolutierung der Praxis aufs bloße ›Machen‹, sondern die konstruktive Einbettung von Informations- und Demonstrationsphasen, von Phasen reflexiver Auseinandersetzung und Analyse in den Produktionsprozeß. Spielerische, experimentelle und ordnende Phasen müssen sich im Lernprozeß abwechseln. [...] Kunstunterricht im Sinne des Werkstattkonzepts ist vornehmlich projektartiges Lernen. Ausgerichtet auf ein Werkziel sind die Lernaktivitäten in einen größeren Sinn- und Produktionszusammenhang gestellt. [...] [Hierzu] gehört auch, dass der Arbeitsraum zeitweilig zum Erlebnis- und Begegungsraum wird, in dem Bilder betrachtet, anregende Musik und Literatur gehört werden und offene Gespräche stattfinden. Dem entspricht [die] Öffnung nach außen, das Aufsuchen außerschulischer Lernorte wie Museen, Ausstellungen, Galerien und – soweit möglich – Künstlerateliers. Aber auch das Erkunden, Beobachten und unmittelbare Erleben von besonderen Beispielen gestalteter Umwelt vor Ort oder die direkte sinnliche Auseinandersetzung mit [..] ästhetisch lohnenden Orten sollen ermöglicht werden. [...] Als kulturelles Forum und Ort der künstlerischen Anerkennung sollten vor allem auch festinstallierte Ausstellungsflächen und -räume zur Verfügung stehen; ggf. kann sogar eine eigene Schul- oder eine Stadtteilgalerie für Kinder und Jugendliche eingerichtet werden.« (Rahmenplan Kunst, Sek.I, 1996, S. 26/27)
Es liegt auf der Hand, dass die Autonomieforderungen des Schulgesetzes und die oben zitierten Ausgestaltungsvorschläge mit Sicherheit Dissenzen produzieren, die sich für die Betroffenen nicht ohne weiteres auflösen lassen: Rückbezogen auf die Frage der Auswirkungen des Werkstattkonzepts auf die konkrete Unterrichtsorganisation bedeutet es, dass Schulträger, -verwaltung und -leitung für den Kunstunterrichts bestimmte Voraussetzungen bereitzustellen hätten. Wenn davon ausgegangen wird, dass zukünftig die »Einzelschule als entscheidende Einheit für innovative Veränderungen anzusehen ist und dass die Realisierung von mehr Autonomie [...] und mehr demokratisch bestimmte Selbstorganisation der Einzelschule eine der zentralen Herausforderungen der Zukunft ist, stellt sich die Frage des Funktions- und Gebrauchswertes von Rahmenplänen nicht mehr nur im Hinblick auf die Kompatibilität mit Gesetzesvorgaben, also bezogen auf die Legitimationsfunktion, die diese Texte zu erfüllen haben, sondern vor allem in Hinblick auf die zentrale Bedeutung der Orientierungsfunktion, die solche Texte haben können.« (Elfner 1992) Über den Weg der verbindlichen Pläne wird staatlicherseits ein Impuls vermittelt, der vielen Schulträgern nicht geheuer ist. Den ministeriellen Vorstellungen zufolge wird es zukünftig den Entscheidungsinstanzen vor Ort vorbehalten sein, wie ihr angebotener Kunstunterricht aussehen wird und welche Ressourcen und unverzichtbaren Räumlichkeiten ihm zur Verfügung stehen werden. Weil die Schule der Zukunft auch die Bewirtschaftung ihrer Mittel (Budgetierung) und – nach einer gründlichen Reform des Dienstrechts – ebenso die Personalbewirtschaftung teilweise übernehmen soll, wird es eine spannende Frage werden, welcher Professionalitätsgrad der kunstpädagogischen Arbeit – die dann unter Umständen auf dem freien Arbeitsmarkt unter entsprechenden Flexibilitätsgesichtspunkten »eingekauft« werden kann – zuzumessen ist.
Wie die Bildungsplanung in jüngster Zeit verdeutlicht, übernehmen die Lehrpläne dann ohnehin nur noch eine »Orientierungsfunktion«, was immer darunter zu verstehen ist. Denn welchen Part zur Sicherung von vergleichbaren Bildungsgehalten und formalen Qualifikationen sie tatsächlich übernehmen, bleibt angesichts der bisher fehlenden Evaluation oder Unterstützung nebulös. Einerseits wird zwar durch die Autonomisierung ein Teil zentraler Befugnisse auf nachgeordnete Instanzen verlagert, andererseits verbleibt die Definitionsmacht über Ziele und Inhalte schulischen Unterrichts eindeutig bei der Schuladministration – und wird im Kern überhaupt nicht angetastet.
Somit stellt sich die Frage, ob es zukünftig nicht zu einem prekären Auseinanderdriften von viel zu eng oder umfangreich gefaßten Bildungsauflagen und einer zwangsläufig hinterherhinkenden Schulpraxis kommen wird, die ganz anderen Gesetzmäßigkeiten und Sachzwängen folgt. »Es könnte ja sein« gab Herwig Blankertz schon 1970 zu bedenken, »dass die relative Selbständigkeit des pädagogischen Denkens frommer Selbstbetrug ist, dass in Wahrheit eine solche Argumentation nur dazu dient, die staatliche Omnipotenz zu verschleiern«. (Blankertz 1970, S. 125) Ein wenig sarkastisch könnte man hinzufügen: Allerdings haben in der Vergangenheit Kunsterzieherinnen und Kunsterzieher mit Rahmenrichtlinien, Rahmen- und Kursstrukturplänen oder anderen Verwaltungsvorschriften bekanntlich nie große Probleme gehabt – die Forschung bestätigt es – und in ihren Zeichensälen, Werkstätten und Nischen weitgehend das getan, was sie selbst für richtig hielten.
Literatur:
– Hessisches Schulgesetz, Wiesbaden 1992
Bildungspläne für die allgemeinbildenden Schulen im Lande Hessen, Sondernummer 1,2 u.3. Wiesbaden 1957
– Blankertz, Herwig: Theorien und Modelle der Didaktik. München 1970 (4.Aufl.)
– Elfner, Michael: Das Hessische Schulgesetz und seine Auswirkungen auf die Gestaltung und Weiterentwicklung der Rahmenpläne des Landes Hessen. In: Schulrecht Hessen, Stuttgart 1992
– Grünewald, Dieter et al: Ästhetische Erfahrung. Perspektiven ästhetischer Rationalität. Velber 1997
– Kaiser, Hermann J.: Operative Grundlagen ästhetischer Rationalität. In: Grünewald et al, a.a.O.
– Koch, Lutz u.a.: Pädagogik und Ästhetik. Weinheim 1994
– Meyer-Drawe, Käte: Lebenswelt [Stichwort] in: Enzyklopädie Erziehungswissenschaft. Handbuch und Lexikon der Erziehung [hrsg. von Dieter Lenzen], Bd.3, Stuttgart 1984, S. 505 - 511
– Parmentier, Michael: Möglichkeitsräume. Unterwegs zu einer Theorie der ästhetischen Bildung.
In: Neue Sammlung, 33.Jg., Heft 2/1993, S. 303 ff.
– Otto, Gunter: Kunst als Prozeß im Unterricht (1.Aufl.), Braunschweig 1964
– Otto, Gunter: Das Ästhetische ist „Das andere der Vernunft“. Der Lernbereich Ästhetische Erziehung. In: Schule. Zwischen Routine und Reform [Friedrich Jahresheft XII, 1994]
Rahmenplan Kunst, Sekundarstufe I, Wiesbaden 1996
– Seel, Martin: Die Kunst der Entzweiung. Zum Begriff der ästhetischen Rationalität.
Frankfurt/M. 1985
© Werner Stehr